PAULITSCH LAW NEWSDie Rechtspflege in Zeiten einer Pandemie – Gerichtsbetrieb und Rechtsdienstleistungen trotz der Corona-Schutzmaßnahmen gewährleistet

2020-03-24

Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus COVID-19 (Corona) stellen Österreich, wie auch den Rest der Welt, derzeit vor besondere Herausforderungen. Der österreichische Gesetzgeber hat umgehend Vorkehrungen getroffen, um ein Funktionieren der Rechtspflege auch in der aktuellen Krisensituation sicherzustellen. So sieht die entsprechende Verordnung des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BGBl II Nr 96/2020, zuletzt geändert durch BGBl II Nr 112/2020) für Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Rechtspflege eine ausdrückliche Ausnahme vom Betretungsverbot von Warenverkehrs- und Dienstleistungsstätten vor. Rechtsanwälte können Ihre Dienstleistungen daher weiterhin in vollem Umfang erbringen.

Der Gerichtsbetrieb in Österreich ist derzeit auf ein Minimum beschränkt, der Parteienverkehr ist soweit wie möglich ausgesetzt. Gerichtsverhandlungen werden nur in dringenden Fällen (zB in Bezug auf einstweilige Verfügungen, vorläufige Maßnahmen in Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren und Haftsachen) durchgeführt. Die Gewährung von Akteneinsicht wird auf dringende Fälle beschränkt und wenn möglich elektronisch durchgeführt.

Um die Wahrung der Grundrechte von Betroffenen in Haftsachen sicherzustellen, hat der Gesetzgeber schnell reagiert. Am Montag, 16.3.2020, hat die Bundesministerin für Justiz (BMJ) eine Verordnung (BGBl II Nr 99/2020) auf Grundlage des, erst am Sonntag, 15.3.2020, verabschiedeten Bundesgesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung 1975 (BGBl I Nr 14/2020) erlassen. Diese Verordnung sieht vor, dass zur Verhinderung der Verbreitung des Corona-Virus Vernehmungen und Verhandlungen hinsichtlich Personen, die sich in Untersuchungshaft befinden, in technischer Form im Wege einer Videokonferenz durchgeführt werden müssen. Dies betrifft sowohl die erstmalige Verhängung, die Überprüfung und Verlängerung der Untersuchungshaft, als auch Hauptverhandlungen betreffend in U-Haft befindliche Angeklagte. Diese Verordnung wurde nur eine Woche später, am 23.3.2020, wieder aufgehoben und durch eine aktuellere Verordnung der BMJ (BGBl II Nr 113/2020) ersetzt. Die Vorgaben betreffend die Durchführung von Vernehmungen und Verhandlungen im Wege der Videokonferenz bleiben aber weiterhin vollumfänglich bestehen. Darüber hinaus wurde verordnet, dass in Fällen, in denen eine Videokonferenz nicht durchgeführt werden kann, eine Haftverhandlung zwecks Aufhebung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft auch gänzlich entfallen und die Entscheidung schriftlich ergehen kann.

Auch bisher sah die StPO unter bestimmten Voraussetzungen Einvernahmen im Wege der Videoübertragung vor. Hauptanwendungsfall ist § 153 Abs 4 StPO, auf den auch die Verordnung verweist. Zeugen und Beschuldigte, deren Aufenthaltsort außerhalb des Sprengels der zuständigen Stelle liegt, können durch Wort- und Bildübertragung vernommen werden, wenn es der Verfahrensökonomie entspricht. Dabei stellen Staatsanwaltschaft und Gericht ihre Fragen telefonisch und/oder verfolgen die Aussagen am Bildschirm. Eine weitere Möglichkeit bestand schon bisher bei der kontradiktorischen Vernehmung (§ 165 Abs 3 StPO) in Fällen, in denen bestimmte Opfer einer Straftat bei ihrer Vernehmung nicht mit dem Täter zusammentreffen sollen. Dieser Gedanke, schutzwürdigen Opfern durch Befragung im Rahmen einer Videoschaltung die Konfrontation mit dem Täter zu ersparen, greift auch im Hauptverfahren (§ 250 Abs 3 StPO).

Aufgrund der besonderen Dringlichkeit von Entscheidungen im Zusammenhang mit der Verhängung und Fortsetzung der U-Haft und der Durchführung der Hauptverhandlung in Haftsachen, hat der Gesetzgeber es auch bisher als notwendig empfunden, Vorkehrungen für den Fall von Verhinderungen und zur Hintanhaltung von Verfahrensverzögerungen in Situationen zu schaffen, in denen der Beschuldigte auf vereinfachtem Weg durch Wort- und Bildübertragung an dem Ort vernommen werden kann, an dem er sich in Haft befindet. Diese Möglichkeit wurde durch die Verordnung der BMJ nunmehr (vorerst befristet bis 13.4.2020) ausgeweitet und ist nun generell anzuwenden, unabhängig vom Ort der Anhaltung des Beschuldigten. Der Gesetzgeber berücksichtigt dadurch die Verfahrensgarantien des Einzelnen und trifft notwendige Vorkehrungen zum Zweck der Volksgesundheit. Verfassungsrechtliche Bedenken betreffend die Möglichkeit des Entfalls von Haftverhandlungen bei der Verlängerung der Untersuchungshaft werden zumindest dadurch abgemildert, dass diese Regelung nicht für die erstmalige Verhängung gilt.

Welche organisatorischen und technischen Schwierigkeiten die vermehrten Vernehmungen auf technischem Weg in den nächsten Wochen für die Justiz im Alltag mit sich bringt, bleibt abzuwarten. So befanden sich am 1.3.2020 in Österreich etwa 1.900 Personen in U-Haft, deren Haftvoraussetzungen regelmäßig (14 Tage ab Verhängung, danach in Ein- bzw Zweimonatsfristen) von 20 zuständigen Landesgerichten zu überprüfen sind.

Derzeit erfolgen fast täglich neue gesetzliche Anpassungen, über die wir Sie gerne im Detail informieren.

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